28.03.2019

Transcimbrica 2017: Hamburg - Skagen - Hamburg

Rund 1350km und 4200hm. Eigentlich ja flach, also auf die Strecke gesehen. Wann ist das? Im März. Im März? Da liegt bei mir ja noch Schnee! Und in Dänemark? Ich war da noch nie. Hm... mal im Blog (https://transcimbrica.wordpress.com/) nachlesen ob ich mich nicht vielleicht verlesen hab. Nee, stimmt so, steht da. Aha - letztes Jahr (2016) kam keiner an, Wetter zu schlecht. Schnee, Wind, Regen. Will ich das wirklich?! Genauso lief es ab, als ich das erste Mal einen ernsthaften Gedanken Richtung Norden schickte. Der Reiz war da. Ich war angefixt. Meine längste Distanz bis dahin lag zwischen 650 - 700 km. Mehr hab ich mit Sack und Pack noch nicht auf dem Rad verbracht. Dänemark ist ja flach - "dünne Reifen" aufziehen dann sollte das schon rollen. Die Streckenführung verspricht schnelles Vorankommen. Ich schreibe mich als Teilnehmer im Blog von Thees und Stefan ein und der erste Austausch beginnt. Infos sammeln, Leute kennenlernen.

Der März ist gekommen, das Rad gepackt und das Zugticket gekauft. Nach Hamburg kann ich ja einfach durchfahren. Ich stelle mich auf eine entspannte Zugfahrt ein, will viel schlafen. Doch manchmal kommt es anders. Im Zug sitze ich keine halbe Stunde, als eine alte Dame auf einmal bewusstlos im Sitz zusammensackt. Ihre Freundin gegenüber ist den Tränen nahe und hilflos. Zusammen mit einem Arzt (welch ein Glück) leiste ich erste Hilfe. An der nächsten Station wird die Dame den Sanitätern übergeben und wir rollen weiter. Mit gehöriger Verspätung. Und die Schaffnerin teilt uns mit, dass der Anschlusszug in München nicht warten wird. Wir haben aber ja zwei Minuten zum Umsteigen. Danke DB! An Ausruhen ist jetzt nicht zu denken. Ich teile in der WhatsApp Gruppe mit was los ist, dass ich evtl. später komme. Auf einmal empfange ich sehr viele warme Worte - man werde auf mich warten, wenn es geht - und viel Zuspruch. Eine tolle Gruppe - dabei kenne ich noch gar keinen. Ich freue mich riesig. Als ich den Anschlusszug gerade noch rechtzeitig erreiche, komme ich das erste Mal wieder innerlich zur Ruhe. Der Zug rollt, Hamburg ist nicht mehr weit. Schlafen kann ich aber nicht mehr.

Nach meiner Ankunft in Hamburg habe ich mich noch mit Thees verabredet. Einer der beiden, welche die Transcimbrica ausgearbeitet haben. Ich will mit ihm ein kleines Interview machen und kann meinen Rucksack mit frischen Sachen für die Rückfahrt deponieren.

Hafen, Lakritz und ein "Glamping"-Shelter

Hamburg kenne ich bisher nur aus dem TV und auf der Karte, in live war ich noch nicht dort. Groß ist es, das weiß ich. Am Bahnhof angekommen telefoniere ich mit Thees. Kurze Orientierung, dann geht es mit dem Rad nach Blankenese. Nach dem Überqueren der Alster begleiten mich die Lichter vom Hafen noch eine Weile. Es wird schon dunkel. Lange dauert es nicht, dann stehe ich vor der Türe von Thees. Wir reden, lachen und trinken Kaffee. Wir wollen noch eine Dönerbude anrollen, bevor es ins Timeless geht. Dem Treff- und Startpunkt der Transcimbrica.

Schnuckelig ist es hier. Klein, etwas eng und eingeraucht. Flashbacks meiner Barkeeperzeit. Die Leute sind supernett. Manche trinken noch ein kühles Blondes, manche quatschen und lernen sich kennen, manche sind im Gespräch schon auf der Strecke. Die geschlossene Terrasse vor der Kneipe schaut aus wie der Ausstellungsraum eines Radladens im Freien. Ich bin hibbelig.

Kurz vor Mitternacht, alle packen ihre letzten Sachen ans Rad. Ziehen sich an. Thees und Stefan versammeln alle. Ansprache? Umtrunk! Lakritzlikör mit Salz. Einen zum Aufwärmen vor dem Start und ne Buddel voll für die Tour für jeden. Und schicke Aufkleber für den, der möchte.

Start...  Blinkend wie ein Weihnachtsbaum macht sich die Meute auf den Weg. Wir schießen durch Hamburg. Das Tempo ist anfangs gar nicht so langsam. Ein lustiges Treiben. Um uns ist alles dunkel. Nur die Straßenlaternen leuchten uns den Weg. Als wir das Schild der Hansestadt passieren, ist die Gruppe schon ganz schön auseinandergezogen. Ich mache mir das erste Mal Gedanken über mein Tempo. Was will ich eigentlich? Hart fahren oder cruisen? Ich hatte mir die Frage nur einmal vorher gestellt. Thees hat mich gefragt, welche Zeit ich denn anpeile. 4 1/2 bis 5 Tage. Hm... ich will grad nicht trödeln, es rollt gut und ich suche eine Gruppe, in der ich gut mitfahren kann. Ich treffe auf Walther, Stefan und Thomas, gliedere mich ein und fahre mit. Doch das Tempo ist mir für den ersten Tag zu dolle. Nach mehreren Abrissen und neuen Versuchen, irgendwo aufzuschließen, begleitet mich irgendwann Max ein Stück. Als dieser später Druck aufs Pedal gibt, verabschieden wir uns und ich fahre alleine weiter. Schließlich finde ich zu Harald und Ingo. Harald kenne ich von Facebook, Ingo kenne ich vom Blog (alle Mitfahrer haben sich kurz vorgestellt). Wir verstehen uns auf Anhieb, rollen gut zusammen. Rasch sind wir in Oldenbüttel an der Fähre angekommen (km 95). Klingeln, warten, Überfahrt. In Kropp gibt es den ersten Kaffee und etwas Gebäck. Es ist kühl, aber angenehm. Flaschen füllen. Wir harmonieren wirklich gut und kommen gut voran. Die Zeit verrinnt wie im Fluge.

Mittlerweile ist die Sonne schon lange aufgegangen und bis zur Grenze ist es nicht mehr weit. Vorher halten wir beim goldenen M und füllen unsere Mägen mit allem Möglichen, Hauptsache irgendwie Energie reinkriegen. Und Kaffee. Den brauche ich zunehmend. Der wenige Schlaf auf der Fahrt nach Hamburg und bis zum Start macht sich langsam bemerkbar. Ich glaube, es war irgendwo in der Nähe von Ellingstedt. Ohne Luft fährt es sich nicht gut und so muss ein Schlauch gewechselt werden bei Harald. Während wir noch gemeinsam das Rad wieder flott machen rollen Thees, Matthias und Stefan auf uns auf. Man plaudert und lacht. Gemeinsam fahren wir die letzten Kilometer bis Harrislee. Ein Bild an der Grenze zu Dänemark und weiter geht‘s. Ich mache die erste Bekanntschaft mit den Radwegen hier. Wie auf der Autobahn schießen wir weiter nach Norden. Flach und schnell. Ein Traum. In Rødekro (km 218) gibt es wieder was zwischen die Zähne und in Vejen (km 278) kaufen wir ein. Essen und Trinken für heute Abend und Morgen.  Es wird schon wieder dunkel und wir überlegen, wie weit wir noch fahren wollen, bevor wir einen Shelter suchen. Dank der tollen Shelter-App (http://shelterapp.dk/) brauchen wir nicht allzu lange. In der Nähe von Randbødal steuern wir unseren ersten Shelter an. Direkt neben einem Naturkundemuseum. Was ein Jackpot. Ein kleiner, beheizter Vorraum und ein sauberes Waschbecken und Klo. Luxus pur. Ich richte den Schlafplatz im Shelter her, mache mich frisch, inhaliere 5-Minuten-Nudeln und schlafe sehr schnell ein. Knapp über 300 km und eine Menge Spaß liegen schon hinter mir.

Mitteljütland und der Wind

In der Nacht bin ich noch in den Vorraum umgezogen. Kurz vor der Tour hatte ich noch einen Biwaksack von einem Freund geborgt zum Ausprobieren. Wollte mal einen anderen testen. Der ist toll dicht - in beide Richtungen. Ich liege im Saft und schlottere. Ich bin so schnell eingeschlafen dass ich nicht gemerkt habe, wie es sich im Sack aufgeheizt hat. Zum Glück wurde ich inkl. Schlafsack im beheizten Vorraum wieder trocken. Noch vor 6 Uhr bin ich wach und genieße den wunderbaren Sonnenaufgang. Wunderschönes Rot hängt über den Bäumen. Ein kleiner Kaffee und den Rest vom Fressbeutel. Später bepacke ich wieder das Rad. Ingo und Harald sind auch schon fertig. Thees und Matthias bleiben noch ein bisschen liegen. Sie kamen etwas später an und wollen noch ne Mütze nehmen. Wir kullern los. Meine Beine fühlen sich gut an. Schnell wird das Gelände wellig. Schnelle flache Passagen sind durch kleine Hügel geteilt. Kurz, ab und an auch mal knackig, geht es rauf. Schön ist, dass man das Ende von unten fast immer schon sehen kann. Ich liebe das. Schalten, ab in den Stand und hoch. Motiviert erklimme ich jeden Hügel, um mich danach wieder selber zu tadeln. Der Wind. Ich merke ihn schon den ganzen Tag. Er ist nicht mega stark. Er ist einfach da. Fast immer. Er bremst ein.  300 km wie gestern? Davon sind wir weit entfernt. Macht aber absolut nix. Wir drei fahren gut zusammen. Man wechselt sich ab. Wir quatschen viel. Und ab und an fahren wir auch nur. Zusammen, dennoch jeder für sich. Ruhig. Kein Wort. Nur das Rollen der Reifen, das Surren der Kette und das Rauschen vom Wind. Ich genieße die Landschaft und die Ruhe. Ja, Ruhe. Die genieße ich hier wirklich in vollen Zügen. Sehr wenig Verkehr. Wenige Ortschaften. Viel Natur. In einer Bushaltestelle weit vorher lag Boris und schlief noch. Nun hat er uns eingeholt und wir rollen zu viert weiter. In Kjellerup (km 380) halten wir an einer ungemein einladenden, schnuckeligen Bäckerei. Brechen uns fast die Zunge dabei, das Wort für Haferflockenkeks (Havregrynskager) auszusprechen. Da hilft auch die Hilfe der amüsierten Verkäuferin nix. Was Süßes zum Kaffee. Der Tag startet super. Zu viert hat jeder einen Nebenmann zum schnacken und so geht es schnell voran bis Hobro (km 450). Da verspricht Google eine Imbissbude und die brauche ich dringend - Knast. Alleine sitzen wir hier und bestellen Essen. Der nette Besitzer sagt " ja" und schon sind alle sichtbaren Steckdosen belegt. Wir sitzen lange. Essen gut und lachen viel. Erst beim Rausgehen wird mir offensichtlich, wie nett der Besitzer eigentlich zu uns war. Mir müssen erbärmlich gerochen haben. Mit netten Worten blieb er in der in der Türe stehen und klemmte sie offen ein. Fenster wurden geöffnet und gewunken. 

Dieses Ritual begleitete uns fast alle Tage J Zusammen fliegen wir wieder in die nächste Dämmerung. Auf der Brücke bei Aalborg das geforderte Foto und weiter geht‘s. Es ist kurz vor 23 Uhr und wir beschließen, nicht mehr lange zu fahren. Eine Stunde später beziehen wir den nächsten Shelter abseits von Vodskov (km 525). Hier treffen wir auch auf Ralf, der alleine an der Feuerstelle sitzt und sich aufwärmt. Die Nacht ist kalt geworden, aber im Shelter lässt es sich gut aushalten.

Halbzeit in Skagen/Grenen und ganz viel Schlaf

Nach 6 1/2 Std Schlaf geht es wieder weiter. Es ist ganz schon frisch beim Losfahren. Bis zum ersten Kaffee sollte es diesmal ganz schön dauern. Dass dieser den Namen diesmal nicht verdient, sei nur am Rande erwähnt. Doch die Stimmung steigt. Endlich machen meine dicken Reifen mal Sinn J. Sand, Matsch, Schotter, Waldwege - ich lass es laufen - herrlich. Bei Dybvad liegt sogar noch etwas Schnee. Zügig und gutgelaunt kommen wir in Jerup (km 590)  an, halten an einer Tanke. Flaschen füllen, essen und Ingo darf diesmal Reifen flicken. Noch ca. zwei Stunden bis Skagen. Ich spüre ein bisschen Euphorie in mir aufsteigen, und in Harald - der hofft auf einen Hotdog. Den will er schon so lange, doch nirgends gab es einen - in Skagen muss es doch irgendwo einen geben! Kurz nach 14 Uhr ist es dann so weit. Ein Imbisswagen mit Hotdogs, gleich neben der Bank. Bauch und Geldbeutel sind wieder gefüllt. Skagen :-)! Halbzeit - fast. Grenen wartet noch auf uns. Also nix wie hin. Dort angekommen, heben wir die Räder in die Höhe (km 620). Ich freue mich wie ein kleines Kind. Das Meer rauscht. Der Wind weht. Hier könnte ich wirklich verweilen. Der Weg durch die Dünen bis hierhin war sensationell. Der Radweg schlängelte sich durch rot-braun bewachsene Dünen. Für mich eine unbekannte Seite der Natur. Kurzes Laufen und Schieben durch den Sand. Innehalten. Rückweg.

 

 

Erneut geht es jetzt nach Skagen. Wir haben uns eine Pizza verdient und die gibt es gleich. Mit vollen Speichern und Batterien geht es weiter -bis zum Supermarkt nach Tversted (km 660). Die Flaschen werden gefüllt, Kaffee kredenzt. Ernüchterung - ein Handy fehlt. Boris hat es leider in der Pizzeria liegen lassen. Und die ist ganz schön weit entfernt mittlerweile. Lagebesprechung. Doch manchmal, da hat man einfach Glück. Stefan (der zweite Mann hinter der Transcimbrica) ist gerade in Skagen. Auf unserem Rückweg kam er uns entgegen. Wir schaffen es ihn zu erreichen. Er bringt das Handy mit nach Tversted. Gemeinsam beschließen wir zu warten und den nächsten Shelter in Hjørring anzufahren. Wir übermitteln unseren Standort. Stefan schließt zu uns auf und Boris kann wieder nach Hause telefonieren. Matratze ausbreiten, Schlafsack ausrollen und schnell den Kocher anschmeißen für die Nudeln. Kurz darauf liege ich gut eingepackt flach und schlafe ein. Viele Kilometer haben wir heute wahrlich nicht geschafft. Aber ich hatte Spaß. Richtig viel Spaß. Und so kann selbst ein kleiner Ritt viel Zufriedenheit schaffen.

Gute Laune - Regen und 3 Sterne

Der Morgen ist schön und wir kommen schnell los. Es wird langsam wärmer und meine Stimmung steigt mit dem nächsten Stop am Supermarkt. Kaffee und Gebäck - ich liebe es. Kein Frühstück für Champions - Frühstück für Genießer. Hier in Dänemark geht man einfach nett zur Kassiererin und fragt nach einem Kaffee, wenn kein Automat in Sichtweite ist. Und was macht die? Sie geht in ihren Aufenthaltsraum und bringt uns eine ganze Kanne. Versuch das mal beim Aldi in Deutschland...Die Sonne kommt nicht wirklich durch und wir wollen keine Zeit verlieren.  Wind kommt immer mehr auf, erste starke Böen kommen hinzu. Und war uns das Wetter bis jetzt sehr wohl gesonnen, so sind wir nun für die nächste Stunde in leichtem Regen unterwegs. Wir reden wenig und arbeiten uns gegen Wind und Regen voran. Einfach fahren, weiter. Abwechseln, einsortieren, warten, weiterfahren. Bis Fjerritslev (km 760).

Da stehen wir nun. Auf einem geschotterten Parkplatz, vor einem Drei-Sterne-Hotel  mit Restaurant. Wir tropfen. Ich schlottere etwas. Aber wir lachen immer noch. Vielleicht lotst uns die nette Dame vom Empfang deswegen in den Nebenraum mit eigener Bar. Menschenleer ist der. "Es gibt grad Fischbuffet zum Hauptgang und Süßspeisen zum Nachtisch." - Wir können gerne zuschlagen. Es sind kaum noch Gäste da. Jackpot! Und als ob das nicht genug wäre, sitze ich nicht nur vor dem besten Fisch, den ich bis dato gegessen habe, ich habe auch kaum noch etwas an. Keine Ahnung, wer von uns die Frage stellte, aber kurz drauf zogen wir bis auf Radhose und Unterhemd fast alles aus. Der Rest wird uns getrocknet. Wie geil ist das denn bitte? Nach dem königlichen Schmaus und mit warmen Klamotten am Körper geht es zurück auf unsere Räder. Der Regen ist auch verschwunden. Als wir Thisted erreichen, ist es schon wieder dunkel. Die Zeit bis hierhin verging wie im Flug für mich. Bis zum nächsten Shelter, in der Nähe einer Schule, ist es zum Glück nicht mehr weit. Bei hellem Mond genieße ich die Ruhe der Nacht.

Wie Don Quijote gegen die Windmühlen....

Wir stehen zeitig auf und machen uns fertig. Der Wind hat zugenommen. Irgendwann musste er ja kommen. Und er kommt dolle. Gemeinsam kommen wir nur langsam voran. Immer wieder warten. Das ist nicht schlimm. Es gehört manchmal einfach dazu, wenn Wind so bläst und man in einer Gruppe unterwegs ist. Aber mein Zeitfenster schließt sich langsam. Ich beginne zu rechnen. Wie weit ist es noch bis Hamburg? Wie viel Zeit habe ich noch? Wie schnell kommen wir voran? Wir fahren.---Um meinen Zug noch zu schaffen, muss ich mich entscheiden. Entweder fahre ich irgendwann später einen Bahnhof an und nehme den nächsten Zug Richtung Hamburg oder ich fahre den Rest "all in". Es sind noch 700 km. Die Gruppe mit Harald, Ingo und Boris ist mir in den letzten Tag ganz schön ans Herz gewachsen. Unsere Genusstour machte bis hierhin einfach unbändig Spaß. Kaum eine Bäckerei die wir nicht für ein Stück Kuchen oder Kaffee besucht haben. Viele tolle Gespräche. Wir hatten einfach eine echt tolle Zeit zusammen, hier in Dänemark. Auf der Transcimbrica.

Schweren Herzens entscheide ich mich für die Variante zwei. Still, für mich allein. Ich fahre noch eine Weile mit den Jungs. Haralds Zeitfenster schließt sich auch und er wird morgen einen Bahnhof ansteuern und den Rest per Zug nach Hamburg fahren. Ingo und Boris wollen mit dem Rad weiter. Es fällt mir ungewohnt schwer, mich mitzuteilen, und so bleibe ich still. Fahre einfach. Schneller.
Der Wind ist heftig. In einer Stunde trete ich hart in die Pedale und komme gerade mal knapp 20 km weit! Hammerhart… Ich bin mittlerweile alleine unterwegs. Mir ist zum Heulen zumute. Jetzt weiß ich auf einmal, wie ich es hätte sagen können, warum ich alleine weiter will/weiter muss. Aber warten ist jetzt keine Option. Endlich erblicke ich Dünen. Ab Diesen geht die Route "relativ windgeschützt" weiter. Kurz vor Esberg setze ich mich auf Steine (km 1030), blicke hinaus aufs Wasser und schmolle vor mich hin. Die Dämmerung bricht langsam an. Und plötzlich steht Boris neben mir. Wir wechseln nicht viele Worte. Ich denke, er versteht. Es tat gut, mich von ihm zu verabschieden, und die Motivation kehrt langsam zurück. Ich steige wieder auf und mit Musik in den Ohren (das erste Mal seit Beginn!) düse ich los.

Auf einer Brücke mache ich kurz Halt und werfe einen Blick auf den Hafen. Es wird wohl ein langer Tag. Mit der Shelter-App suche ich mir einen Shelter kurz vor der Grenze zu Deutschland und starte durch. Mit Genießen ist jetzt nicht mehr viel, aber es läuft. Ich komme sehr gut voran. Die Kilometer fliegen dahin. Es macht Spaß. Trotz alledem. Es macht grad richtig Spaß. An einem nicht enden wollenden Damm rausche ich durch die Nacht, träume vor mich hin und nicke im Beat der treibenden Musik.

Aus dem Nichts taucht auf einmal ein Metalltor auf. Ich hab es erst viel zu spät bemerkt. Alles was die Bremse hergibt - Glück gehabt. Ein Weidegitter. Jetzt bin ich wieder wach. Die nächsten übersehe ich nicht mehr. Kurz vor 22 Uhr suche ich nach meinem Unterschlupf. Aha - der Shelter ist auf einem Privatgrundstück. Ich hätte vorher anrufen müssen. Einmal nicht den Übersetzer bemüht, schon steht man da wie Seppl. Den nächsten finde ich nicht. Das darf nicht wahr sein! Eine halbe Stunde irre ich in einem Waldstück umher, dann gebe ich auf. Zurück auf den Track und weiter zum Nächsten. Der liegt bei einer Schule am Sportplatz (km 1090). Doch auch den finde ihn nicht! Wirklich?! Es ist stockdunkel, die Zeit verrinnt schnell. Genervt beschließe ich weiter zu fahren, bis ich eine Bushaltestelle oder was anderes finde.

Kurz bevor ich wieder bei der Schule stehe, erblicke ich den Holzunterstand. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Hier bin ich in den letzten Minuten dreimal! vorbei. Es ist kurz vor Mitternacht. Schnell rolle ich meine Sachen aus und stelle den Wecker am Handy. Das Wasser fürs Abendessen ist kurz vorm Kochen. Im Schlafsack liegend inhaliere ich die Nudeln und belohne mich mit einer Tüte Gummibärchen. Wie leicht man doch Zufriedenheit erreichen kann...

Ein Teller in 2h und ein freundliches Dorf

Wirklich zugemacht habe ich die Augen in der letzten Nacht nur sporadisch. Ich kam nicht wirklich zur Ruhe. Trotzdem weckt mich mein Handy um kurz vor halb sechs aus dem Halbschlaf. Ich muss die Zeit ausnutzen. Den ganzen Tag Vollgas halte ich nicht durch, drum lieber etwas langsamer. Dafür steige ich heute außer zum Essen nicht vom Gaul, bis ich in Hamburg ankomme. That´s the plan. Es ist leicht neblig, als ich starte. Bevor ich gestern den Shelter angesteuert habe, sah ich auf dem Navi noch eine Tanke in der Nähe. Dort gibt es schwarzes Gold zum wach werden und unglaublich leckere Croissants. Ich esse gleich vier Stück :D Mit vollen Provianttaschen geht es nun mit Druck Richtung Süden. Ich folge wieder dem Damm, die Zäune werden aber weniger. In der Ferne tauchen drei Fahrer mit Gepäck auf. Walther, Stefan und Thomas. Ich hole sie ein und wir schnacken ein Weilchen. So macht kurbeln Spaß. Doch ich habe noch einiges vor heute. Die drei lassen es entspannter angehen und schielen schon auf den nächsten Bäcker, ich in Richtung Husum. Wir wünschen uns gegenseitig noch eine schöne Fahrt und ich trete wieder rein. Vor Jahren hatte ich mal einen Chef, der mittlerweile ein guter Freund geworden ist. Der wohnt im Speckgürtel von Husum und ich hatte im Vorfeld versprochen durchzurufen, wenn ich dort bin. Einlaufen, essen, schnacken, abklatschen, weiter. Wir verabreden uns zum Mittagessen. In Husum (km 1200) angekommen, lotst mich Güldi zum Loof, einem Fischhaus am Hafen. Die Begrüßung ist herzlich und es dauert nicht lange, da sitzen wir draußen auf der Terrasse und ich bekomme meine Thainudeln mit 2 x Krabben. Unfassbar, wie gut es mir gerade schmeckt. Wir schwelgen in Erinnerungen, bringen uns gegenseitig auf den neuesten Stand und ich erblicke mit einem Auge nebenbei die Armbanduhr einer Person, die neben uns sitzt. 2 1/2 h! So lange sitzen wir nun schon hier. Ich bekomme innerlich Schweißausbrüche und beginne wieder mit dem Rechnen. Distanz, Zeit, Kraft - possible? Wir zahlen und Güldi begleitet mich noch bis zur nächsten Straße, dann bin ich wieder auf dem Track. Doch kurz vorher begegne ich in der Fußgängerzone wieder Walther, Stefan und Thomas. Ja, ich hab getrödelt :D---Doch die lange Pause tat mir gut. Mit gefühlt frischen Beinen schieße ich Richtung Süden. Hätte ich alle Tage so treten können - wie schnell wäre ich wohl gewesen? Am Nordostseekanal (km 1260) mache ich kurzen Stopp. Beweisfoto und den Ausblick genießen. Am Ende der Brücke sehe ich einen kleinen Pavillon auf einem Hügel. Welch ein geiler Bivy-Spot. Leider keine Zeit.

Wenig später Itzehoe. Da kam ich auch am ersten Tag der Transcimbrica vorbei - es ist nicht mehr weit bis Hamburg. Ich liege gut in der Zeit und könnte es sogar noch etwas ruhiger angehen lassen, doch plötzlich wird es schwammig. Hinten, unter meinem Hintern. Ich federe leicht. Ein kurzer Blick - ein Schleicher. Langsam entweicht die Luft, ganz langsam, nicht hörbar, irgendwo. Bis jetzt hatte ich noch keinen Platten auf der Tour. Allgemein ereilt mich solches Schicksal zum Glück nur extrem selten. Ich bleibe gelassen, hab ich doch alles dabei. Werkzeug und Schlauch raus, Hinterrad raus, Rad umdrehen. Mantel halb runter und nach Fremdkörpern suchen. Schlauch begutachten. Eine kleine Scherbe ist gefunden und schon wieder raus. Der Mantel kann so bleiben, es ist nix wildes. Also neuen Schlauch rein, Mantel wieder druff und pumpen. Ich liebe meine kleine, kompakte Handpumpe mit dem integrierten Schlauch. Hat sie mir doch schon oft gute Dienste geleistet. Beim Radfahren bin ich ja ein kleiner Luftdruckfreak. Sie ist immer dabei. Ich hege und pflege sie. Doch heute, gerade jetzt, reißt der Schlauch ohne Vorankündigung genau oberhalb der Verschraubung vom Ventilstück ab. Einfach so. Ich schaue mich zum ersten Mal seit meinem Stopp richtig um. Ich befinde mich am Ende eines kleinen Dorfes. Die Dämmerung bricht an, Menschen sehe ich keine, es ist totenstill. Bitte nicht - jetzt wird es vielleicht doch noch eng mit der Zeit.

Ich suche mir eine nett wirkende Eingangstüre in der Nähe aus, positioniere mich etwas entfernt (Dusche hab ich schon lange keine mehr gesehen) und drücke die Klingel. Es poltert, ein Kind schreit und eine nette Dame in Socken macht mir die Türe auf. Sie grinst mich an und ich schildere meine Situation. "Nee" - eine Pumpe hat sie auch nicht, aber der Nachbar bestimmt. "Da gehen wir gleich mal rüber!". Und so laufe ich ihr, sie mit Socken, Kind im Arm, hinterher. Im Nachbarhof klopfen wir an der Tür. "Der Mann ist in der Werkstatt, der hilft bestimmt". Einmal auf die andere Seite vom Hof. Ein Kompressor läuft - ich höre ihn schon, bevor die Tür aufgeht. Nach der Begrüßung und der Bitte um Luft stehe ich kurz darauf auch schon an der Werkbank und der Reifen ist gut gefüllt. Aber gehen darf ich erst, wenn ich was getrunken und von meiner Fahrt erzählt habe. Zu Beginn glaubt mir keiner, dass ich ein paar Tage vorher aufgebrochen bin, im Norden abgeklatscht habe, um gleich darauf wieder nach Hamburg zu fahren. Nach der netten Bewirtschaftung sind alle Missverständnisse geklärt, meine beiden Flaschen wieder voll und der Bauch auch. Leicht angeschlagen vom wärmenden Kurzen geht's weiter.

Ein paar Kilometer später ist der Kopf wieder klar und ich am Kommunizieren mit Harald. Er kommt auf jeden Fall zum Timeless und nimmt mich in Empfang. Ich freue mich riesig. Die letzten Kilometer vergehen wie im Flug. Abgesehen vom kleinen Buckel bei Blankenese, der tut noch mal weh. René (der erste Finisher) sauste hier nach ca. 3 1/2 Tagen hoch - krasse Leistung. Und endlich das Timeless (km 1350). Ich sehe es schon von weitem. Das Licht ist noch an und da steht er - Harald. Winkt und hat ein breites Grinsen im Gesicht. Und ich erst. In den letzten zwei Tagen hab ich 700 km gerissen. Mit meinem MTB, mit dünnen - "dicken" Reifen. Ich bin ziemlich geschafft und überglücklich, in der Zeit angekommen zu sein. Wir quatschen eine Weile. Der Wirt kommt auch raus. Ich bekomme ein Getränk und dann bietet mir Harald einen Schlafplatz mit Dusche und Essen an. Am nächsten Morgen bringt er mich auch noch in aller Früh zum HBF. Boah! Vielen Dank nochmal Harald! Das war wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Bevor wir zu ihm nach Hause aufbrechen, hole ich noch meinen Rucksack bei Thees im Schuppen. Bei einem Teller Nudeln und in frischen Klamotten sitze ich wenig später im Kreise seiner Familie noch eine Weile im Wohnzimmer. Lachen, Bierchen, Entspannung. Besser kann eine solche Tour wirklich nicht enden. Diese Nacht schlafe ich super. Satt und tiefenentspannt.

Epilog

Nach einem kleinen Frühstück befinde ich mich rasch am Hauptbahnhof. Kurzes Bangen, ob ich einen rechtzeitigen Zug erwische - reserviert habe ich ja nicht. Wusste anfangs ja nicht, wie lange ich unterwegs sein werde. Aber alles läuft glatt und so befinde ich mich bald im Abteil neben meinem Rad am Boden wieder. Isomatte ausgrollt, Jacke als Kissen. Die Augen fallen wieder zu. Was nehme ich mit von der Transcimbrica? Gigantisch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Strecke ist superschön, schnell und landschaftlich unglaublich attraktiv. Gut, es gibt keine Berge - dafür Wind, keine Täler - dafür endlose Sicht, aber wer sich auf Dänemark einlässt, wird sicher belohnt. Im März mag das Wetter nicht zum Schwitzen einladen, es blüht nicht viel und man sieht keine bunte Natur um einen herum. Doch die ewige Ruhe, die Weite, das Schwanken der Sträucher und Bäume im Wind. Der Blick aufs Meer, in die Dünen und die netten kleinen Örtchen. Die Natur habe ich selten intensiver wahrgenommen. Die unglaublich freundlichen Dänen. Und nicht zu vergessen der Umgang mit Radfahrern. Hier braucht man keine Angst zu haben. Abstände werden ganz selbstverständlich eingehalten, man wird sogar gegrüßt. Brenzlig war es nie und die Radwege sind wirklich gut. Man muss sie aber auch benutzen. Und natürlich die Fahrer der Transcimbrica - es war schön, euch kennengelernt zu haben. Ich hoffe, man sieht sich wieder - irgendwann im Sattel, mit Sack und Pack ;-).